Über den Dächern von Hanoi

Es war eine reine Kopf-Entscheidung. Ich mußte mich einfach mal wieder aufraffen, etwas Neues anzugehen und nicht einfach nur die gewohnte Schiene zu fahren. Wie jedes Jahr im April ist in Thailand eine dreitägige Wasserschlacht angesagt, in manchen Gegenden dauert es sogar noch länger. Und Gefangene werden nicht gemacht, es gibt also weder Pardon noch Ausnahmen. Inzwischen ist aus dem Brauch des Beglückwünschens für das Neue Jahr ein quasi-professioneller Wasserkrieg geworden. Und den oder das brauche ich nicht. Deshalb bin ich an den Tagen dann einfach mal weg, nutze stattdessen die Gelegenheit, mal aus dem Milieu auszubrechen,- selbst wenn ich dabei in ein anderes Milieu kommen sollte, Hauptsache Abwechslung, eine gute Woche lang. Und das Neue hieß dieses Jahr Hanoi, die Hauptstadt Vietnams. Ho-Chi-Minh-City, oder kurz Saigon, hatte ich vor zwei Jahren schon besucht und es war im Wesentlichen ganz gut gewesen, aber es wäre eben nichts Neues gewesen. Und eigentlich hat mir ganz gut gefallen, was ich von Vietnam weiß und kenne, zumal die Leute wesentlich alerter sind als die eher behäbigen Thais. Darum also dieses Mal Hanoi.

Landkarte Vietnam
Landkarte Vietnam

Das Land ist ja wie eine ewig lange Wurst, sicherlich 2000 Kilometer lang, aber an einigen Stellen keine 50 Kilometer breit. Und die Geschichte hat ein übriges dazu getan, daß es kulturelle und vor allem mentale Unterschiede zwischen Süd- und Nordvietnamesen gibt. Ein weiterer Grund also, der für Hanoi sprach. Hinterher fragt man sich oft, wovor man so eine Angst hatte, aber die letzte Woche vor dem Abflug war ich mir nicht mehr so sicher, das Richtige getan zu haben, als ich Flug und Hotel 6 Wochen vorher gebucht hatte. Was muß ich mitnehmen? Wie viel Geld brauche ich und soll ich nur mit Handgepäck reisen oder lieber mehr mitnehmen, aber dafür eine Tasche aufgeben? Soll ich meinen kleinen Taschen-PC mitnehmen oder gibt es leichten Zugang zum Internet im Hotel? Und überhaupt, taugt das Hotel was, das ich übers Internet ausgesucht und reserviert habe, oder ist es wieder so ein Reinfall wie bei meinem letzten Kurztrip nach Nordthailand?

Der Tag des Abflugs kam. Ich mit Tasche und geliehenem Rucksack (von Sabine, die von ihrem letzten Trip Lippenstift und Parfüm im Rucksack vergessen hatte), da war ich einfach zu bequem, um mit der S-Bahn zum Flughafen zu fahren, deshalb habe ich kurzerhand ein Taxi angehalten und bin damit auf den Flughafen gefahren. Mit dem (relativ) neuen Flughafen habe ich inzwischen halbwegs meinen Frieden geschlossen, nur nerven mich dort die langen Wege. Das ging aber dieses Mal und auch der Flieger war relativ leer, aber auf 90 Minuten Flugzeit macht das nicht so viel aus. Schlimm war dann allerdings, daß nach einer recht fixen Passkontrolle, das Gepäck auf sich warten ließ. Und auf sich warten ließ. Hätte ich doch nur Handgepäck gehabt! Als ich meine Tasche schließlich von Band hob, war seit der Landung eine glatte Stunde vergangen. Immerhin hatte mir das Hotel ein Taxi zur Abholung geschickt, aber auch auf den mußte ich dann noch warten. Der Flughafen Noi Bao ist etwa 35 Kilometer vor der Stadt, was für sich alleine nicht so schlimm ist. Aber der Fahrer fuhr einfach strikte 40 km/h, auch wenn vor ihm alles frei war... auf der Schnellstraße. Vielleicht fehlte ihm einfach noch die Übung. Nämlich Auto zu fahren und dabei abwechselnd mit zwei Handys zu telefonieren! Als wir uns dann durch die engen Straßen und Gassen der Altstadt zwängten, nachdem wir vom „Highway“ herunter waren, wurden auch seine Präferenzen klar: Erst telefonieren, dann fahren. Ein Glück nur, daß er in dem Chaos und mit all den Mopeds um einen herum niemanden über den Haufen fuhr. Aber immerhin, nach einer weiteren Stunde stellte er in einer engen Gasse den Motor ab und erklärte, daß wir da wären. Stimmte auch noch, denn ich hatte im Internet ein Photo der Hotelfront (höchstens 4 Meter Breite) gesehen. Andere Autos aber wären an seinem nicht mehr vorbeigekommen. Praktischerweise kamen auch gerade keine.

Frontansicht von zwei Hotels
Frontansicht von zwei Hotels

Das Hotel, als auch das Zimmer waren nicht aufregend, aber für 11 Euro pro Tag darf man auch kein Grand Hotel erwarten. Immerhin, der Kühlschrank hätte funktionieren können, statt eine nur lauwarme Minibar zu präsentieren. Das wurde dann am nächsten Tag behoben. Wie ich wieder aus dem Hotel rauskomme, auf die Gasse, ist es schon dunkel. Ich hatte den jungen Rezeptionisten gefragt, wo es etwas zu essen gibt und der meinte erste links, dann rechts, da wären viele Essgelegenheit. Aber zuerst will ich mal die unmittelbare Umgebung erkunden. Und muß schnell feststellen, daß ich hier total verloren bin. Ohne den kleinen Stadtplan vom Hotel hätte ich mich in 5 Minuten verlaufen und selbst so schaue ich an jeder Straßenecke nach, wo ich gerade sein könnte. Hier ist nichts rechtwinkelig, sondern alles läuft in schrägen Winkeln aufeinander zu, ineinander, um einander herum, kurz, ich stehe schon fast auf dem Schlauch. Das ist mir noch nie passiert! Normalerweise habe ich einen inneren Kompass, aber der ist auf einmal außer Betrieb. Dazu kommen die absolut ungewohnten Straßennamen, in denen ich kein System sehen kann. Einige ändern sich einfach an einer Kreuzung, andere gehen um die Ecke,- wer soll denn da auf Anhieb durchblicken? Natürlich ist da ein System in den Namen, das habe ich schließlich nachgelesen. Die Straßen sind nach Berufen/Zünften benannt, die hier im „Alten Quartier“ früher in Straßen zusammengefaßt waren. Aber das Wissen hilft mir im Moment herzlich wenig. Immerhin sind an allen Kreuzungen die Namen leicht erkennbar angeschlagen. Und dann bin ich langsam auch hungrig. Abgesehen davon, daß die Gehwege voll stehen mit Mopeds gib es auch viele Straßenverkäufer... auf dem Gehweg. Und dann gibt es jede Menge Cafés. Da stehen dann winzige Plastik-Hockerchen auf dem Gehweg, vor einem Miniladen, und die Leute sitzen da, ratschen, und sind glücklich dabei. Nur für Fußgänger ist dann eben kein Platz mehr, die laufen zum größten Teil auf der Straße und teilen sich die engen Gassen mit fahrenden Moped, Taxis und gelegentlichen Privatautos.

Und wo finde ich was zu essen? Pho (sprich „Foh“), die vietnamesische Nudelsuppe, nee, da stehe ich nicht so drauf, weil das eine recht geschmacklose Mischung aus schaler Brühe und genauso langweilig schmeckenden Reis-Nudeln ist. Diese Art von Nudelsuppe bekommt man fast überall, in ganz Asien, aber es muß doch auch noch etwas anderes geben! Das weiß ich ganz genau! Ausländisches Essen, Französisch, Pizza, Steaks und Bürgers sind auch vertreten, aber aus Thailand weiß ich, die sind unanständig teuer, weil etwas „besonderes“. Und wer will schon in Asien Pizza oder Steaks essen? Irgendwann finde ich dann auch einen Laden, der nicht teuer aussieht und außer Pho auch Com anbietet, also außer Nudeln auch Reis. Das war knapp! Der folgende „Gebratene Reis“ ist anders als in Thailand, eher trocken im Geschmack, der Reis oft etwas klumpig, dafür aber mit mehr Gemüse und mit Schinkenstückchen. Unterm Strich ist es natürlich ganz gut essbar, aber ich ziehe dann doch die Thai Küche vor. Wie üblich ist das Essen im Ausland auch besser zubereitet, als zu Hause, das scheint ganz normal zu sein. Beim Vietnamesen in Berlin hat es mir besser geschmeckt,- vielleicht auch nur deshalb, weil es dort noch eine Soße dazu gibt...

Am ersten Abend werde ich nicht mehr alt. Ich bin früh auf dem Zimmer und schaue mir noch ein mitgebrachtes Video auf meinem kleinen PC an, bevor ich das Licht ausmache,- vor Mitternacht. Das hat es schon lange nicht mehr gegeben. Dementsprechend wache ich am nächsten Tag viel zu früh auf. Frühstück gibt es bis um 10 Uhr, und ich bin schon um 7:30 Uhr wach! Das geht überhaupt nicht, gleich nochmal umdrehen und noch ein Stündchen dösen. Als mir das Dösen dann auch auf den Wecker geht, gebe ich nach und stehe auf. Aufgehübscht trete ich an zum Frühstücken, das muß man mitnehmen, das ist im Hotelpreis mit dabei. Es gibt alternativ Brot mit Butter und Marmelade, Brot mit Käse und Marmelade und Brot mit Tomatenomelette, jeweils mit Kaffee, Tee oder Saft. Ich entscheide mich für das Omelette und natürlich kommt zuerst der Kaffee. Das Omelette ist ganz o.k., aber das Brot ist eine Riesen-Bagette-Semmel (Brötchen, Rundstück,...), viel Weißbrot und darin noch mehr Luft. Na ja, mit dem Omelette schaffe ich auch das halbe „Brot“. Danach will ich meine Emil checken und wissen, was sich sonst so getan hat, dabei kommt mir aber mehrere Male eine Virus-Welle in die Quere, die mein Antivirus-Programm aber abwenden kann. Wer ist hier im Hotel-WLAN unterwegs und spuckt mit Viren um sich? Wie auch in anderen Ländern gibt es hier inzwischen in so gut wie jedem Hotel WLAN (im Englischen WiFi genannt). Das ist wichtiger als Zimmertelefon. Ohne WLAN keine jüngeren Gäste. Aber das heißt nicht, daß jemand anwesend ist, der sich auch damit auskennt. Wenn was im Argen ist, müssen sie die Service-Firma rufen, die das WLAN installiert hat. Und die Passwörter sind auch so einfach wie möglich, hier immerhin 12345678. Als das WLAN einmal abends streikt, helfe ich aus, das Netzwerk wieder zum Laufen zu bringen, was mir eine Tasse Tee auf Kosten des Hauses einbringt...

Brücke zum Lift: Leider keine Zugbrücke
Brücke zum Lift: Leider keine Zugbrücke, aber links und rechts geht es 6 Stockwerke tief...

Am Donnerstag war ich eingeflogen, am Samstag bekam ich dann ein besseres Zimmer. Ganz oben im 6. Stock, unterm Dach und mit Metalltüre. Immerhin gibt es einen Lift, und das Zimmer hat nicht nur ein Fenster zum Treppenhaus bzw. Lichtschacht wie das Zimmer im 3. Stock, in dem jedes Wort der Zimmermädchen zu hören war, egal auf welchem Stockwerk die unterwegs waren. Hier hatte ich nun ein Außenfenster, doppelt breit, mit Aussicht! Was mir im vorherigen Zimmer vor allem fehlte, war ein Tisch, um den „Taschen-PC“ vernünftig bedienen zu können. Auf dem Bett sitzend und das Teil auf dem Schoß, das ging praktisch gar nicht. Dafür braucht die Dusche hier oben eine halbe Stunde, bis warmes Wasser kommt, dann aber ist es richtig heiß. Und so langsam geht einem das Gehupe des Verkehrs auf den Geist, das von der Parallelstraße herüberschallt. Egal, was unterm Strich ist zählt, und da ist das neue Zimmer besser. Ich, über den Dächern von Hanoi...! Und im Laufe der Zeit gefällt mir das Zimmer immer besser.

Über den Dächern von Hanoi
Über den Dächern von Hanoi

Das „Alte Quartier“, was wohl identisch ist mit der Altstadt, ist ein Gewirr von kleinen Sträßchen, auf ein paar Quadratkilometer ausgebreitet, in dem manchmal zwei Autos Probleme haben, aneinander vorbeizukommen. Und dann sind da noch die Herren der Straßen, unzählige Mopeds. Die stehen nicht nur auf weiten Teilen des Gehwegs herum, der genau genommen eher ein Moped-Parkplatz ist, nein, die fahren total chaotisch über die ganze Breite der Straße, entgegen der Einbahnstraße, überholen sich gegenseitig und Autos auf beiden Seiten, je nachdem, wo mehr Platz zu sein scheint. An roten Ampeln hält man auch nur, wenn man Zeit hat. Und das Wichtigste dabei ist das Hupen! Hoppla, hier komme ich und macht Platz da! Die Straße zu Fuß zu überqueren scheint aussichtslos, aber man muß einfach nur losmarschieren. Irgendwie finden sie doch immer einen Weg, um den armen Fußgänger herum. Einmal treffe ich zwei Europäerinnen, die offensichtlich Angst haben, über eine kleine Straße zu gehen. Ich helfe ihnen "nach drüben zu machen", denn mal ehrlich, helfen macht Spaß. Das Gros der Autos, speziell der Taxis, sind Kleinstwagen, meist von Hyundai, Kia und auch ein paar kleine Toyotas. In dem Gewühl der Stadt, mit den oft engen Gassen und mit den Mopeds ständig um einen herum erscheint mir das auch sinnvoll, zumal die sicherlich preisgünstiger sind als die Autos, die etwa im Westen als Taxi dienen.

Hanois Klein-Taxi
Hanois Klein-Taxi

Und noch etwas Kleines fällt mir auf: Kleinst-Hunde! Keine Ahnung, welche Rasse, in Deutschland waren das früher Rehpinscher, aber hier? Nun sind die Vietnamesen bekannt dafür, daß sie auch Hunde essen. Diese hier sind normalerweise an der Leine und wohl deshalb so klein, damit ja niemand auf die Idee kommt, es würde sich lohnen, sie als Essen zu verarbeiten. Aus Thailand kommen übrigens jeden Tag Pickups mit Hunden an, die als verwilderte Hunde eingefangen wurden und nun in den Kochtöpfen Vietnams enden sollen.

Ich wollte mir ein paar Museen antun, damit ich nicht ganz umsonst in Hanoi war. Der Herr Ho Chi Minh, seines Zeichens erster Präsident des neuen Vietnams nach der Kolonialzeit, ist hier einbalsamiert und aufgebahrt, daneben gibt es ein eigenes Museum über ihn. Als junger Mann war er übrigens richtig gut aussehend, da hat er gut in das Leben der 30er Jahre in Paris reingepasst. Und nebenbei die Gründung der Kommunistischen Partei Indochinas mit organisiert. Aber irgendwie geht es mir zeitlich nicht raus, deshalb besuche ich „erstmal“ das Museum der Geschichte Vietnams, in das vor einiger Zeit auch das „Revolutions-Museum“(soll heißen für die Geschichte der Zeit seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts) eingegliedert wurde. Es steht auch praktischerweise gegenüber dem mehr naturkundlich-historischen Museums. Der Hinweg ist ganz angenehm, ca. 15-20 Minuten zu laufen, aber im Museum (alter Teil) ist es recht miefig und ich fange an zu schwitzen, als ob ich’s bezahlt bekäme. Warum riechen eigentlich alle Museen gleich?

Motorradhelm für Pferdeschwanzträger
Motorradhelm für nette Menschen mit Pferdeschwanz.

Was mir neben dem Schwitzen auf den Senkel geht ist, daß über 90 % der Beschriftung in Vietnamesisch ist. Klar, daß die Mehrzahl der Besucher Vietnamesen sind, aber die anderen Touristen stehen da und können nur sagen „Ja, hmm, schön.“, aber das ist dann auch alles. Deswegen gehe ich auch keine Kirchen, Wats (in Thailand) oder historische Gebäude anschauen, denn ich alleine mit den Steinen, da kommt nichts raus und nichts rüber. Und von einem Museum, das die Geschichte eines Landes darstellen soll, darf man doch eigentlich mehr Internationalität erwarten. Dachte ich wenigstens. Da lobe ich mir mein „Südostasien vor der Kolonialzeit“ aus dem Fischer-Verlag. Das ex-Revolutions-Museum ist da etwas besser, denn die meisten Ausstellungsstücke sind alte Photographien (vergilben die denn nie?) mit vietnamesisch/englisch/französischen „Untertiteln“. Die original Guillotine steht da auch noch, mit der die Franzosen reichlich Revolutionäre hingerichtet haben. So was in einem „Revolutions-Museum“ aufzustellen finde ich allerdings makaber. Gottlob ist das Messer zwar oben, aber blockiert. Und das Museum hat auch keine Puppe dazu gelegt. Trotzdem, ein roter Faden fehlt, die Photos sind zwar chronologisch angeordnet, aber der Zusammenhang fehlt. Oder genauer, die ganzen Ausstellungs-Stücke sind Bruchstücke und erzählen keine Geschichte, was wann war und warum so und zu diesem Zeitpunkt. Einfach die Chronologie der Ereignisse. Schade eigentlich. Schade auch um meine Zeit.

Das mit dem fehlenden Englisch, das lässt mich nicht los. Ich finde das Touristen-feindlich. Denn auch die Vietnamesen wollen Touristen, und deren Kohle, da unterscheiden die sich nicht von den anderen Ländern der Region. An den Restaurants steht groß in vietnamesisch dran, was es dort gibt, aber nirgendwo, auch nicht kleiner geschrieben, steht das auch in Englisch. Das scheint hier im Norden noch ein bisschen extremer als damals in Saigon,- dort konnten wenigstens mehr Leute Englisch sprechen. Und was ich so merke, auch mit dem Sprechen hapert es noch gewaltig. Es mag ja sein, daß Englisch die Sprache der ehemaligen Kriegsgegner ist. Aber der Krieg ist bald 40 Jahre her, da macht sich keiner „verdächtig“, bloß weil er Englisch kann. Und auch in der Geschäftswelt geht international fast nichts ohne Englisch. Kann sein, daß es in Thailand auch so schlecht mit Englisch aussieht, aber da merke ich das natürlich nicht, wenn ich selbst Thai rede. Auf jeden Fall täte man sich leichter als Tourist, wenn es mehr Englisch gäbe, geschrieben als auch gesprochen. Und das wäre kein Verlust an Nationalstolz.

Da stellt sich doch gleich die Frage: Wie sieht es eigentlich in Deutschland mit Englischkenntnissen aus? Neulich auf extra-3 (NDR) hatten die einen Ausschnitt von einem NPD-Parteitag gezeigt, in dem ein paar der Funktionäre Englisch sprachen,- oder besser, es versuchten. Wer das im vollen Wortlaut gehört hat, muß entweder schreiend davongelaufen sein oder im Krankenhaus gelandet sein... mit schwerer Lachmuskelzerrung. Erscheint mir als der beste Weg zur Auflösung dieser Partei: Alle müssen Englisch sprechen, sorry, versuchen, Englisch zu sprechen ... Das Ende einer Partei ...

Aber zurück nach Vietnam. Ich sitze hier im 6. Stock, Tisch am Fenster, und blicke über die Dächer von Hanoi. In der Ferne sehe ich ein Hochhaus mit vielleicht 30 Stockwerken und wenn ich meinen Hals verrenken will, sehe ich weiter links in der Ferne noch ein weiteres Hochhaus. Fast alle Häuser sind so 4 bis 6 Stockwerke hoch. Und schmal, so zwischen 3 und 6 Meter breit, aber sie gehen in die Tiefe, gerne mal 20 Meter und mehr. Und über allem ein Industrie-Himmel: helles Grau, aber nicht unfreundlich, bewölkt, die Sonne läßt sich manchmal nur erahnen, aber es regnet wenigstens nicht. Das Ganze bei angenehmen 27 Grad. Ist doch besser als klarer Himmel mit unbarmherzigem Sonnenschein bei über 35 Grad, und das fast jeden Tag. An manchen Tagen hat es frühmorgens etwas geregnet, aber da war ich noch im Reich der Träume, ich sehe es nur, wenn die Straße teilweise noch feucht ist, wenn ich dann vor das Hotel trete. Aber es gibt auch sonnige Zeiten, nur eben nicht so beständig wie in Bangkok. Hier scheint es diesen Industrie-Himmel ständig zu geben, zumindest, wenn man Stefan Glauben schenken darf.

Der hat eine Querstraße weiter ein kleines Restaurant mit westlichen und vietnamesischen Gerichten. Ich bin durch Zufall da drauf gestoßen, weil in seinem Laden vernünftige Stühle und Tische stehen, nicht so vietnamesisch-niedrig und auch nicht so Café-Style klein, daß man Mühe hat, neben einem Teller auch noch ein Getränk abzustellen. Stefan stammt aus Memmingen oder so, das ist der südwestliche Teil Bayerns, Schwaben genannt, war mal für das Komitee Cap Anamur in Vietnam eingesetzt und ist dann hängen geblieben. Das hat wohl auch mit seiner Frau zu tun, nehme ich wenigstens an, und wohl auch damit, daß er eine fast erwachsene Tochter hier hat. Das Ganze hat 1990 angefangen und inzwischen macht er mit einem Dutzend Vietnamesen dieses kleine Restaurant. Mann, sieben Tage die Woche, das ist schon hart. Aber er sieht nach wie vor aus wie ein Schwabe, Vollbart, kariertes Hemd und wadenlange Cargohose, dazu in Sandalen. Immerhin scheint er es richtig getroffen zu haben und kommt mit seinen Leuten gut aus, was in Asien keinesfalls selbstverständlich ist. Trotzdem ist er immer wieder froh, wenn er mal wieder ein bisschen Deutsch reden kann, über die Floskeln als Restaurant-Chef hinaus. Seine Frau hat übrigens, wie sie voller Stolz erzählt, bei „Vietnams next Top Küchen-Chef“ den 7. Rang geschafft, aus etwa 15.000 Bewerbungen und über mehrere Wochen hinweg. Halt ähnlich wie die Heidi Klum Veranstaltung. Als Beweis hängt dort eine Küchenschürze mit dem Titel,- eingerahmt hinter Glas.

Aber generell, das stelle ich immer wieder fest, ist es schwer, in Asien Bekanntschaften zu machen. Natürlich lächeln einen viele an, aber nicht so sehr aus Sympathie, sondern aus Höflichkeit. Wobei man den Unterschied nach einiger Zeit erkennt. Das ist zwar angenehmer als die Flunschal-Gesichter, die einem viel zu oft in Deutschland begegnen, aber man bleibt eben auf Distanz hier. Abends ausgehen geschieht nur mit Freunden und man bleibt unter sich. Als ich eines Abends, einem Sonntag, einen anderen Teil des „Old Quarter“ durchstreife, komme ich durch kleine Straßen, an denen die Leute, in mehreren Reihen tief, am Straßenrand sitzen, alle mit dem Gesicht zur Straße, auf diesen Winz-Hockerchen, Vietnamesen wie Touristen, als gäbe es in der Straßenmitte etwas zu sehen. Ohne einen freien Platz dazwischen, aufgereiht wie auf der Stange. Oder sind die Pendants auf der anderen Seite, 5 Meter entfernt, so interessant? Es sind auf jeden Fall Unmengen von Leuten, die da sitzen. Als Pärchen oder in kleinen Gruppen. Das Ganze zieht sich über mindestens zweihundert Meter lang hin und geht auch in die Quergassen weiter. Ist das „Hanoi Freizeit 2014“? Oder das berühmte „Been there, done that“ der Backpacker?

Fußgänger- und Ausgeh-Meile in Hanoi
Fußgänger- und Ausgeh-Meile in Hanoi

Eine Querstraße weiter ist Nachtmarkt, die ganze Straße lang auf etwa 500 Meter, für Fahrzeuge gesperrt und mit zwei Reihen Verkaufsbuden in der Mitte der Straße. Primär gibt es Klamotten, nur vereinzelt Haushalts-Utensilien oder etwas zu essen. Auf Nachfragen erfahre ich, daß der Nachtmarkt mittwochs und sonntags stattfindet. Und wohl vor allem für die Touristen ist, mit Touristenpreisen.

Für den nächsten Tag habe ich eine Stadtrundfahrt gebucht, damit ich auch mal die Teile kennenlerne, die etwas weiter weg liegen. Das Old Quarter selbst ist in ca. 20 Minuten zu Fuß zu durchqueren, aber da muß doch noch mehr sein! Auf jeden Fall wird es hart, denn es fängt damit an, daß ich um 7 Uhr aufstehen muß, das ist kurz nach Mitternacht! Dann schnell frühstücken und dann zu der Reise-Agentur flitzen (in meinem Alter!), wo ich um 8 Uhr abgeholt werden soll. Na ja, wird schon werden, zumal ich den Wecker gestellt habe und mich von der Rezeption wecken lasse. Weil sonst sind 17 Dollar futsch,- und das geht schon gar nicht.

Natürlich wach ich am nächsten Tag rechtzeitig auf, pflichtbewußt und eine Viertelstunde zu früh. Aber das Dösen vor dem endgültigen Aufstehen gehört ja zu den schönsten Erfahrungen des Lebens. Ich bin dann, gestiefelt und so weiter, sogar 10 Minuten vor der Zeit am verabredeten Treffpunkt, drei Minuten vom Hotel entfernt. Der Ruf verpflichtet: Die Deutschen haben in Asien auch den Ruf, äußerst pünktlich zu sein. Diesen Ruf sollte man nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.

Schließlich taucht eine halbe Portion auf, um mich abzuholen. Eine nicht nur junge Frau von 24 Jahren, sondern auch eine ungemein kleine Frau von maximal 40 Kilo und höchstens 1 Meter 40 Länge. Jerry heißt sie und nimmt mich in Schlepptau. Auto oder Bus als Transportmittel? Nichts zu sehen. Wir gehen etwa 10 Minuten durch das Viertel, vorne 40 Kilo, dahinter 120 Kilo, das muß lustig ausgesehen haben. Aber egal, ich habe ja dafür bezahlt! Schließlich landen wir an einer weiteren der unzähligen Tour Agencies, wo eine Kanadierin sitzt und auf uns wartet. Chelsea heißt sie, ist aus Montreal und fleißig am Asien erkunden: jeden Tag eine andere Tour. Chelsea wiegt so die Hälfte zwischen Jerry und mir und ist ein bisschen unbedarft, aber nett und einfach. Sie arbeitet irgendwo im Krankenhaus, war 5 Jahre in Australien, wo sie erstmal Englisch gelernt hat, weil zu Hause nur Französisch angesagt war. Immerhin hält Jerry jetzt ein Taxi an und wir fahren etwas rum, um noch 3 weitere Touristen aufzusammeln. Einen Thai Ingenieur aus Zentralthailand und ein altes Pärchen aus der Gegend von Ban Me Thuot. Genau, ich habe mich auch gewundert, aber warum sollen Vietnamesen nicht auch Sightseeing in der großen Stadt machen? Ban Me Thuot liegt in Zentral-Vietnam auf einem Hochplateau und war im Vietnamkrieg Schauplatz erbitterter Kämpfe. Ich lasse Jerry fragen und die Dame ist 75 und hat den Krieg daher auch miterleben müssen. Jerry spricht ein miserables Englisch und auf Nachfrage sagt sie, sie habe ihr Englisch selbst gelernt und nicht im Unterricht. So klingt es auch. „Tschusch’n“ ist ein österreichischer Ausdruck für eine bestimmte Art von Ausländer, aber Jerry meint eigentlich die „Russian“. Und so geht es weiter. Einerseits habe ich Empathie für Jerry, andererseits ist es ein Kampf im Kopf, ihr undeutlich und genuscheltes Englisch zu de-codieren. Im Ergebnis bekommen wir von ihr nicht allzu viel Informationen und davon ist die Hälfte unverständlich,- nicht gerade Sinn einer Führung. Für den Ingenieur aus Thailand ist’s gleich doppelt schwer. Der kann so gut wie kein Englisch. Warum schließt er sich nicht einer der vielen Thai Gruppen an, die wir andauernd treffen? Keine Ahnung. Aber es sind geradezu Heerscharen von Thais hier, die wohl die Feiertage für Bildungsreisen benutzen.

Gleich am ersten Tempel gibt es Probleme mit der Kleiderordnung, weil Chelsea unbedarft in einem schulterfreien Rock unterwegs ist. So kommt man in ganz Asien in keinen Tempel, und der erste Stopp ist gleich so ein eminent wichtiges Bauwerk. Aber sie geht einfach mit, als ob nichts wäre und da der Tempel unbewohnt ist und ohne Aufsicht, kommt sie damit durch. Konfuzius ist hier stark vertreten, es gibt mehr chinesische Tempel als buddhistische und das Bildungswesen vor der Kolonialzeit war wohl auf seinen Lehren aufgebaut. Kurz vor Ende der Führung durch Hanoi sind wir im Tempel der Literatur. Das ist eigentlich eine Anlage, die die erste Universität darstellt und vor ca. 1100 Jahren von einem lokalen König veranlasst und errichtet wurde. Es war ein konfuzianischer Tempel, der Lesen und Schreiben lehrte, damit die Lehre von Konfuzius unter den Leuten verbreitet werden konnte. Zu sehen gibt es da allerdings relativ wenig, außer den 3 oder 4 Innenhöfen. Wird wohl Unterricht im Freien gewesen sein... Wir haben vor allem Uni-Absolventinnen gesehen, die mit Zertifikat und im Ao Dai mit Freunden oder Freundinnen für Einzel- und Gruppenfotos posen.

Studentinnen nach Semester-Schluß
Studentinnen nach Semester-Schluß

Zwischen Tempel und Tempel aber kam natürlich das Wichtigste für jeden Vietnamesen, was jedem Touristen ans Herz gelegt werden muß, der Besuch des Mausoleums von Ho Chi Minh. Und dieses Mal ging das mit der schulterfreien Chelsea nicht mehr so durch. Sie musste sich für ein paar Dollars einen Schal kaufen, was ihr unendlich gestunken haben muß, mit so viel Hass hat sie über das Stück Stoff geredet: Der Schal werde zur Tischdecke degradiert! Aber ohne durfte sie eben nicht vor Onkel Ho treten!

Es gibt solche Mausoleen – abgesehen von vielleicht ein paar im Nahen Osten - eigentlich nur noch in Moskau, Peking und hier in Hanoi. Ob Lenin und Mao das wollten, so aufgebahrt sein, für Millionen Menschen zum Besuchen? Ho Chi Minh wollte das definitiv nicht, aber hinterher konnte er sich ja schlecht wehren. Ho Chi Minh wollte - das steht so in seinem Testament - verbrannt werden, denn er wollte den Leuten keine Arbeit machen. Jetzt liegt er aber hier, mitten in Hanoi, in einem recht hässlichen Betonklotz in Dämmerlicht, mit einem Haufen Soldaten als Ehren-Garde an allen Ecken für 10 Monate im Jahr und die meisten Besucher gehen ehrfürchtig um den Glaskasten herum. Zwei Monate hat er gewissermaßen Schönheitsurlaub, da wird er nach Moskau geschickt und dort von kundigen Kräften restauriert und repariert,- heißt es wenigstens. Die Konzeption der Anlage ist auch so, daß man nicht nur ewig warten muß, an manchen Tagen bis zu zwei Stunden, in einer scheinbar ewig langen Schlange, man folgt den Vorderleuten in das Gebäude, dann geht es links, dann wieder rechts, dann eine Treppe hinauf, nochmal um ein oder zwei Ecken, bis man am Eingang des Hauptraumes ist,- nein, das ist so angelegt, um die Erwartungshaltung, die Spannung schrittweise zu erhöhen. Wenn man dann den Raum betritt, dann ist man so mit Spannung aufgeladen... daß das, was man dann sieht, zumindest mir wie eine kleine Enttäuschung vorkommt. Er liegt da, die Hände auf der Decke, wächsern blaß-gelblich und man kann kaum Einzelheiten sehen. Stehenbleiben für einen genaueren Blick ist nicht, dann scheuchen einen die Wachsoldaten weiter. Gut, jetzt habe ich ihn gesehen, mit dessen Namen auf den Lippen früher in Deutschland gegen den Vietnamkrieg protestiert wurde, aber ich glaube, mit einer Postkarte von ihm wäre ich besser bedient. Und günstiger, denn der Eintritt kostet sowas 2 Dollar.

Ho Chi Minh Mausoleum
Ho Chi Minh Mausoleum (offizielles Photo eines klobigen Baus).

Gleich in unmittelbarer Nachbarschaft sind der offizielle Arbeitsplatz als auch die beiden Wohnsitze, die Onkel Ho nacheinander bewohnt hat. Der Palast, in dem sein Bureau war, ist knallgelb angestrichen, die Farbe der französischen Kolonialisten, deren Verwaltung zuvor in diesem Palast ihren Hauptsitz hatte. Ho Tchi Minh soll aber nach kurzer Zeit den gelben Bau als zu protzig empfunden haben und dort kein Büro mehr unterhalten haben. Daneben, auf halber Strecke zwischen Arbeit und Mausoleum, sind die von außen zu besichtigen Wohnhäuser, das erste ein einfaches, gemauertes Haus, aber darin hat er es nicht lange ausgehalten. Darum ist er anschließend in ein ebenso einfaches 2-Zimmer-Holzhaus auf Stelzen gezogen, gleich ein paar Meter weiter, allerdings extra für ihn erbaut. Und die beiden gepanzerten Staatskarossen russischer Bauart müssen natürlich auch vorgezeigt werden, damit ja keiner glaubt, Onkel Ho sei nicht eine wichtige Person gewesen,- Personenkult eben.

Kolonialverwaltung der Franzosen in Hanoi
Kolonialverwaltung der Franzosen in Hanoi: Hier in diesem Protzbau wollte Onkel Ho nicht arbeiten.

Auf dem Gelände sind auch viele Schüler-Gruppen unterwegs, teilweise noch im Kindergarten-Alter. Wir kommen an einer Gruppe Kinder vorbei, die im Gänsemarsch laufen, wobei jedes Kind den Hemdzipfel des Vordermanns festhält. Erinnert mich irgendwie an Wilhelm Busch. Als ich so tue, als ob ich den Zipfel des letzten Kindes greife und mich dem Gänsemarsch anschließe, habe ich die Lacher auf meiner Seite. Die Erzieherinnen machen kurzen Prozess, alle Kinder zusammen und ein Gruppenfoto mit dem riesigen, dicken, grinsenden (ist Pflicht!) Ausländer gemacht. Und man hat etwas zu erzählen, wenn man mit Freundinnen zusammensitzt und auch zu Hause.

Wohn- und Amtssitz von Ho Chi Minh
Wohn- und Amtssitz von Ho Chi Minh

Nach Tempel, Mausoleum und Universitäts-Tempel bin ich klitschnass geschwitzt, zumal es nach Regen aussah und schwül war. Das war’s auch schon fast, denn anschließend wurden wir nur noch zum Mittagessen in ein kleines Hotel verfrachtet und danach „durften“ wir gehen, wohin wir wollen, denn Jerry erklärt uns, daß „hier“ die Führung beendet ist. Sie hatte zwar noch eine Vorstellung im Wasserpuppen-Theater im Angebot, aber ich war einfach zu fertig, um mich nochmal eine gute Stunde auf einen Winz-Hocker zu quetschen. Ein Glück, daß es nur 10 Minuten zu Fuß bis zu meinem Hotel waren. Ich wollte nur noch nach Hause, raus aus den verschwitzen Klamotten und unter die Dusche. Und danach erstmal erholen. Geregnet hat es dann allerdings an dem Tag nicht mehr.

Später bin ich dann nochmal losgezogen, um mich nach Kaffee umzusehen. Der vietnamesische Kaffee soll ja besonders gut sein, aber mir selbst ist er zu stark geröstet. Selbst mit einer Unmenge Milch verfärbt sich der Kaffee kaum, so stark ist er. Aber ich habe Freunde in Bangkok, die mich gebeten hatten, mal zu schauen. Natürlich mache ich den Anfängerfehler und laufe in das erstbeste Geschäft, und dann noch mitten im Zentrum. Die Preise hauen mich um, aber ich bin auch ein Mengen-Trinker, nicht ein Kaffee-Genießer. Das erste Angebot ist eine Million Dong für ein Kilo. Das sei der beste Kaffee, den man habe. Trotzdem klingt das teuer, auch wenn es „bloß“ 50 Dollar sind, aber für nur ein Kilo Kaffee? Ein paar Tage später finde ich in einer Franchise-Filiale der Firma noch günstigeren Kaffee, aber immer noch im Bereich von 15 bis 20 Dollar das Kilo. Das sind offizielle Auszeichnens-Preise am Regal, da wundere ich mich, warum Kaffee hier so ein Luxus-Getränk ist. Schließlich trinken auch die Vietnamesen viel Kaffee. Neben Tee und Baumwolle ist Kaffee eine der arbeitsintensivsten „Feldfrüchte“, weshalb Kaffee auch fast ausschließlich in Niedrigstlohn-Ländern geerntet wird. Da gehört Vietnam allerdings nicht mehr dazu, aber der Anbau hier ist die Domäne der Bergvölker und die leben und arbeiten eben noch für „’nen Apfel und ’nen Ei“ ... Ein Schurke, wer da Übles denkt ... Später stelle ich fest, daß der vietnamesische Kaffee im Ausland sehr viel günstiger zu kaufen ist, warum wohl?

Ausgehen mit Freunden in Hanoi
Ausgehen mit Freunden in Hanoi

Was mir auch aufgefallen ist, sind die vielen scheinbar ungeschminkten Frauen. Ich habe ein paar direkt gefragt und die Antwort bekommen, man wäre auch ohne Make-Up hübsch genug. Gut, da ist allerdings was dran. Erkennbar geschminkt, also z.B. mit rotem Lippenstift oder Rouge auf den Wangen sieht man recht wenige. Die meisten benutzen Make-Up wirklich sehr dezent. Aufgetakelte Gesichter oder shocking Make-Ups wie etwa bei jungen Japanerinnen kennt man hier nicht. Und das Gleiche gilt für Bekleidung. Einfach, sauber, nett, aber auch zweckdienlich ist man angezogen, nur ein paar Frauen haben Büro-Uniformen an, bei einigen davon ist dies der Ao Dai, das National-Kostüm. Und bei den Männern sehe ich nirgends jemanden mit Sakko, ganz vereinzelt welche mit Krawatte. Und praktisch keine dicken Menschen. Wenn man einmal von einigen Touristen wie mir absieht... Hanoi ist eine 6 Millionenstadt, aber Selbstdarstellung und Mode ist eher vergleichbar mit einer Provinzstadt in Thailand. Was ja erstmal nichts Schlechtes ist.

Auf meinen Wegen komme ich oft an einem Laden vorbei – wie ich erst später feststelle, ist es ein edles Restaurant – vor dem eine Vietnamesin im Ao Dai steht und stets grinst und vergnügt ist. Chi Dang heißt sie, ist 23 und freut sich jedes Mal, wenn sie mich sieht. Keine Ahnung warum, aber daraufhin gefragt meinte sie, meine Augen würden so lachen. War mir dann aber auch neu. Auf jeden Fall kommen wir ein bisschen in’s Gespräch und gegen Ende meiner Tage in Hanoi wechseln wir die Emil Adressen aus. Un-er-hört!

Was mir in Vietnam gefällt ist, daß viele kleine Probleme auf der Stelle gelöst werden. In Thailand ginge das erst durch die Institutionen: wer zuständig ist, wer das reparieren kann, aus welchem Budget das bezahlt werden muß und wer die Reparatur absegnen darf oder muß. Darüber vergeht Zeit, und wenn niemand dafür zuständig sein möchte, dann dauert es ewig. In Vietnam geht das sofort: Als ich moniere, daß der Duschkopf verkalkt ist, bekomme ich innerhalb von 15 Minuten einen anderen Duschkopf montiert. Der ist wahrscheinlich erstmal aus einem leerstehenden Zimmer, aber das kann mir ja egal sein. Als ich mich beschwere, daß das WLAN nicht funktioniert, kommt sofort ein Angestellter mit und zusammen bekommen wir es wieder ans Laufen. Und das in einem Staat, der vor Bürokratie angeblich nur so strotzt.

Überhaupt sind die drei, vier Leute, die den Betrieb des Hotels ausmachen, ganz nette Menschen, nichts Überragendes, aber eben schlicht nett. Wenn man weiß, wie man mit ihnen umzugehen hat. Die Rezeptionistin freut sich, wenn sie einem helfen kann, der Tagesmanager freut sich, wenn er etwa eine Tour verkaufen kann oder sonst wie Geld machen kann. Fürs Hotel oder in die eigene Tasche. Ist halt so, trotz sozialistischem Anspruch des Staates. Der Nachtmanager beschwert sich, daß das Gehalt zu niedrig ist und der Laufbursche nachts flitzt schon los, wenn er mich nur sieht: Er weiß innerhalb kurzer Zeit werde ich ihn um eine Tasse Tee bitten, heiß, mit Milch. Den Kaffee hier vertrage ich nicht auf die Nacht.

Als ich an einem Freitag mal eine englischsprachige Zeitung kaufen will, muss ich ganz schöne Wege gehen, bis ich einen Kiosk finde, der auch englische Zeitungen hat. Natürlich nur die offizielle, staatlich kontrollierte „Vietnam News“. Aber egal. Ich will die Freitagsausgabe, aber in Asien geben die einem auch mal eine alte Ausgabe, Hauptsache man verkauft etwas. Also schaue ich aufs Datum, aber da sehe ich schon, da steht groß „Sonntags-Ausgabe“ drüber. Nee, sage ich, nicht die vom letzten Wochenende. Der Verkäufer besteht aber darauf, daß das die aktuelle Ausgabe wäre und wie ich nochmal genauer hinsehe, merke ich, das ist die Ausgabe vom kommenden Sonntag! Das muß ein Guinness-Rekord sein, schon 2 Tage vorher zu wissen, was am Sonntag die aktuellen Nachrichten sein werden! Trotzdem kaufe ich die Freitags-Nummer. Als ich dann am Sonntag nochmal hingehe, ist die Sonntagsnummer ausverkauft. Hätte ich mir ja denken können!

Büro der bekanntesten Tageszeitung
Büro der bekanntesten Tageszeitung

Es kommt, wie es kommen muß, auf einmal ist der Abreisetag da, hektisch natürlich, wie was wieder einpacken, nichts vergessen, reicht das getauschte Geld noch bis zum Abflug oder muß ich noch ein bisschen tauschen, hat man alle Dokumente zur Hand ... das Übliche eben. Das Taxi entpuppt sich als ein Fortuner, das ist der SUV von Toyota und nicht gerade billig! Überpünktlich ist er auch noch.

Was folgt ist eine etwas wehmütige Fahrt durch die Stadt, von der ich einen kleinen Teil kennengelernt habe, die mir gefallen hat und deren Menschen mir noch mehr gefielen. Schlitzohren gibt es überall, aber extra vor den Schlitzohren Vietnams zu warnen, wie etwa auf WikiTravel, das ist irgendwie total daneben, das habe die Leute hier nicht verdient. Die Stadt, mit der Mischung aus alt und neu, aus den Häusern, die die Bombardierungen der USA im Vietnamkrieg überstanden haben und den dazwischen reingesetzten neueren Gebäuden, die nach dem Krieg hochgezogen wurden, das hat ein bestimmtes Flair. Gleichzeitig sieht man - vor allem, wenn man den Stadtkern verläßt, daß noch Vieles recht primitiv gehandhabt wird. So sind etwa die Baumaschinen auf Baustellen recht alt, weil man sich neue nicht leisten kann oder will. Recht wenige Autos, dafür alte Busse und alte Mopeds im Verkehr sind weitere Hinweise dafür. Und bei allem darf man nicht vergessen, daß Vater Staat überall mitmischt... und abkassiert.

Die Fahrt dauert fast eine Stunde und eine Zeit lang wundere ich mich, wo der überhaupt hinfährt, aber letztlich landen wir doch am Flugplatz. Die Formalitäten wie Einchecken und Passkontrolle sind ein Klacks und ich bin eine ganze Stunde vor Abflug am Gate, das aber noch nicht einmal aufgemacht hat. Da wäre ich lieber noch eine Stunde in der Stadt geblieben, da hätte ich mehr davon gehabt, aber hinterher ist man immer schlauer. Der Flug selbst ist so ereignislos wie befürchtet, und auch der Flughafen in Bangkok bietet keine Aufregung mehr. Eine Stunde nach der Landung bin ich zu Hause, geschafft von der Hitze in Bangkok, selbst am frühen Abend noch, und ich bin froh, daß ich zu Hause gleich unter die Dusche kann. In Hanoi war es dunstiger, aber fünf bis zehn Grad kühler. Ja, so war das...


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