Phnom Penh
Es ist immer wieder das Gleiche: Die Vorbereitung einer Reise nervt, vor allem der Gedanke daran, was man wohl dieses Mal vergessen wird. Denn irgendetwas vergisst man immer, da ist das Schicksal gnadenlos, unerbittlich. Und dann ist da die Angst, ob auch die Anschlüsse alle passen. Ist die Zeit zu knapp kalkuliert, riskiert man, den Anschluss zu verpassen. Und das geht gleich richtig ins Geld. Ist die Zeit zu großzügig bemessen, sitzt und schwitzt und langweilt man sich zu Tode. Aber vielleicht werde ich einfach zu alt, um das Abenteuer im Reisen noch zu genießen.
Vergessen habe ich dieses Mal die E-Mail-Adressen, aber E-Mail ist ja keine Einbahnstraße. Und für die Fahrt zum Flughafen war ich doch zu früh dran, weil es in Bangkok unmöglich ist, das Verkehrschaos vorauszusagen. Immerhin, im Flughafen selbst fällt das Schwitzen weg und ein Bekannter, der auf den gleichen Flug gebucht ist, kommt gerade, eine Zigarette rauchend daher, als ich aus dem Taxi steige. Noch eineinhalb Stunden bis zum Abflug, und das Einchecken entfällt, weil ich nur Handgepäck habe und mir den Boarding-Paß gleich über das Internet ausgestellt habe. Die Paßkontrolle geht wider Erwarten auch blitzschnell über die Bühne. Der Bekannte rauscht daraufhin gleich ab in ein Raucherkabuff. Aber in Bangkok sind das eher Folterkammern für Raucher, so verqualmt wie die sind. Na ja, wir bringen die Zeit rum, auch die halbe Stunde, die der Flug verspätet losgeht. Das hier ist der alte Flughafen, den die Regierung vor zwei Jahren absaufen ließ, weil er als Auffangbecken für die Fluten aus dem Norden benutzt wurde. Alle Autos, die hier geparkt waren, waren danach Schrott und auch von den Maschinen, die auf dem Flughafen so benutzt werden, war das meiste hinüber. Aber inzwischen ist der Flugplatz wieder betriebsbereit und wird von den Low-Cost-Airlines benutzt, weil die Gebühren hier billiger sind. Dadurch geht es hier auch gemütlicher zu, nur alle zehn Minuten gibt es einen Start oder eine Landung.
Wir beide setzen uns in ein Café in der Hoffnung, daß so die Zeit schneller vergeht. Und dann fängt es an zu regnen, das erste Mal seit Monaten. Prompt gehen die Lichter aus, aber nur für ein paar Minuten. Déjà-vu vom Feinsten.
Der Flieger ist nur halb voll, was mich wundert, denn in den Jahren bisher waren die Flieger immer rappelvoll. Neben mir sitzt ein Weißer, dem die Angst schon fast ins Gesicht geschrieben steht, aber ich habe keine Ahnung, wovor er Angst hat. Ist mir auch egal, ich döse die meiste Zeit des Fluges, es ist auch nur etwas über eine Stunde Flugzeit bis zur Ankunft.
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Nach der Landung geht alles recht flüssig, nur stinkt es mir gewaltig, daß seit kurzem von jedem Ankömmling die Fingerabdrücke genommen werden. Sind denn alle Flugreisenden Verbrecher? Und ein Dritte-Welt-Land als Vorreiter des Überwachungsstaats? Als ich später, bei der Ausreise, den Menschen an der Paßkontrolle darauf anspreche, sagt er, daß das wohl auf Veranlassung der US of A eingeführt worden sei. Drum.
Mit dem Bekannten fahre ich mit einem Tuk-Tuk in die Stadt. Das sind hier – anders als die dreirädrigen lauten Töfftöffs in Bangkok – normale Motorräder, an denen Anhänger angebracht sind, die wie kleine zweirädrige, überdachte Kutschen aussehen. Das Tuk-Tuk haben wir vor dem kleinen Flughafen auf der Straße angehalten und es bringt uns für 5 Dollar ins Hotel. Ich genieße diese Fahrt jedes Mal wieder, denn es ist eine halbe Stunde abenteuerliche Fahrt durch das Gewusel, und dieses Mal ist auch noch Rushhour. Trotzdem gibt es hier zu dieser Stunde zwar mehr Verkehr, aber eben keinen Verkehrsstau, wie etwa in Bangkok. Aber alles wuselt, scheinbar total ohne Ordnung, und es wundert mich jedes Mal aufs Neue, daß sich nicht Autos, Motorräder, Tuk-Tuks und Fahrräder gegenseitig über den Haufen fahren. Und es geht echt eng zu, aber einen richtigen Unfall habe ich in all der Zeit hier nie gesehen. Inzwischen gibt es auch Ampeln an größeren Kreuzungen, und die werden auch, mal mehr, mal weniger beachtet, aber all die anderen Kreuzungen… Es gibt keine Vorfahrtsregel, und wenn doch, dann ist sie so geheim, daß sie keiner kennt.
Im Hotel angekommen ist der Rest Routine, das Einchecken, Auspacken usw. Das Zimmer ist zwar recht klein, aber alles Wesentliche ist da: eine moderne Klimaanlage, warmes Wasser im Bad, ein Fernseher und sogar ein kleiner Kühlschrank, dazu ein Bett, das genau die richtige Matratzen-Härte hat. Das kostet pro Tag etwa 6 Euro und der Preis ist seit Jahren der gleiche geblieben. Das Buchen mache ich per E-Mail und es ist damit sehr “low-tech”, aber das funktioniert anstandslos. Keine Internet-App oder Hotel-Portal, einfach eine Emil, und innerhalb von einem oder zwei Tagen bekomme ich die Antwort. Im Hotel kommt eine Stick-it-Note mit Datum, Namen und Zimmernummer auf den chinesischen Wandkalender, das reicht. Einfach statt umständlich, das gefällt mir.
Nur das Essen im Restaurant, das zum Hotel gehört, ist unter aller…, “sub omnes canones” sagte mein Lateinlehrer in solchen Fällen. Aber von Thailand kommend muß man hier beim Essen Abstriche machen, und in diesem Restaurant eben gleich zweimal. Obstsalat und Sandwichs sind die einzigen Sachen, die man bestellen kann, ohne hinterher völlig irritiert darauf zu schauen, was einem die unfreundliche Bedienung da vorgesetzt hat,- und zu fragen, was das bitte auf dem Teller sein soll?
Doch damit noch nicht genug gehört den Hotelbesitzer-Brüdern auch noch eine Fern-Bus-Linie. Und die Station ist genau neben dem Restaurant. Früher war das Restaurant auch noch Fahrkarten-Verkaufsstelle und Wartehalle für die Busreisenden. Damals mußte man oft erstmal durch oder über Gepäck drängeln, um einen Sitzplatz zu ergattern. Lokalkolorit war das wohl! Inzwischen ist die Busstation nach nebenan umgezogen und vor dem Restaurant speien nur noch ankommende Busse ihre genervten Reisenden aus, die ihr Gepäck einsammeln, umschwärmt von einem Rudel an Motorrad-Taxler und Tuk-Tuk-Fahrer, die alle eine Fuhre brauchen. Aber auch so ist das Restaurant so gut wie leer, der Standard der Küche und des Personals hat sich offensichtlich herumgesprochen.
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Am nächsten Morgen wache ich auf, weil irgendein Idiot scheinbar stundenlang auf der Hupe steht. Noch ist kein Feiertag und das Verkehrs-Chaos ist normal. Im Gegensatz zu Thailand wird hier nicht die Lichthupe eingesetzt, um sich im Verkehr Vorteile zu verschaffen, sondern eine möglichst laute Hupe. Normalerweise kann ich Straßenlärm „überschlafen“, aber diese Hupe und ihr „Hupier“ haben es wohl auf mich abgesehen.
Als ich später unten im Restaurant sitze und auf den „Kaffee, heiß, mit Milch“ und den Obstsalat warte, kann ich mir anschauen, warum hier so viel gehupt wird. An der Kreuzung direkt vor dem Restaurant hat sich alles verkeilt, Autos, Motorräder, Tuk-Tuks, Rikschas, einfach alles. Einen Schupo gibt es auch, aber der sitzt auf seinem Moped am Straßenrand und ratscht mit den Tuk-Tuk Fahrern, die da auf Kunden warten. Ab und zu geht er hinaus in das Gewühl und versucht, das Knäuel mit seinem abgeschnittenen roten Leuchtschwert zu entwirren. Das gelingt ihm auch, so nach etwa fünf Minuten. Er macht das ja auch schon jahrelang. Dann kommt er zurück an den Straßenrand und erholt sich beim Geschnatter mit seinen Freunden von der Tuk-Tuk-Fraktion. Und nach einer Minute haben sich auf der Kreuzung wieder alle hoffnungslos ineinander verkeilt. Der Schupo wartet noch eine Weile, dann wirft er sich wieder in das Gewirr, um es zu entflechten. So geht das hier halt.
Die meisten Autos hier sind SUVs oder “SUV-alikes”, relativ viele Lexus und, anders als in Thailand, kaum deutsche Fabrikate. Komischerweise haben die “Motos”, also die Mopeds, Vorfahrt vor den Autos. Aber vielleicht auch nur deshalb, weil ein Kratzer am Auto mehr kosten würde, als ein normaler Moto-Fahrer bezahlen könnte. Aber am lustigsten sind die Tuk-Tuks. In der „Kutsche“ können zwei Europäer sitzen, mit etwas Gepäck, oder ein Dutzend Einheimischer, nebeneinander, aufeinander, übereinander. Einsteigen kann man von beiden Seiten, aber nur gebückt, sonst stößt man sich den Kopf am Dach an. Die „Kutsche“ ist rundum offen, und wenn es regnet wird das Teil auf drei Seiten mit einer Plane dicht gemacht,- nur der Fahrer muß dann leiden… Viele haben statt des normalen Tanks einen 5-Liter-Plastikkanister an der Seite angeschnallt. Trotzdem ist es mir einmal passiert, daß so ein Tuk-Tuk mit leerem Tank liegen blieb,- und nirgendwo eine Tankstelle in Sicht. Der Fahrer hielt am Straßenrand, schaut sich um und ging dann schräg über die breite Straße, während ich im Tuk-Tuk warten durfte. Also alles bereit für "Allein und Verlassen in der Fremde“. Das traf aber nicht ein, stattdessen kam der Fahrer nach kurzer Zeit mit einer Plastikflasche voll Benzin zurück und noch weitere 2, 3 Minuten später ging es weiter. Merke: Man kann Benzin auch in Flaschen kaufen,- zumindest in Asien.
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Viele Leute laufen hier mit Gesichtsmasken herum, weiße oder hellblaue Gewebemasken mit Gummizug, der links und rechts um die Ohren geht, OP-Masken nicht unähnlich. In Bangkok sieht man das auch gelegentlich. Nur ist hier die Luft viel weniger verschmutzt als in Bangkok. Ein Fashion-Statement? Wohl kaum, denn so eine Maske verdeckt alles unterhalb der Augen und mit dem Begriff Fashion fängt hier niemand etwas an. Und so hässlich, daß sie ihr Gesicht verbergen müssten, schauen sie auch nicht aus. Angst vor Vogelgrippe? Aber die ist noch weit weg in Schanghai. Als ich ein paar Mal nachfrage, höre ich doch echt, der Grund wäre die Luftverschmutzung... Komisch nur, denn früher mit den vielen ungeteerten Straßen war die Luft hier viel staubiger.
Aber überhaupt, mit der Mode scheinen es die Leute hier eh’ nicht so ernst zu nehmen wie etwa in Bangkok. Hier sind 90% aller Frauen hausbacken angezogen, einfach, ordentlich, aber alles andere als modisch, die Gesichter nur minimal geschminkt,- wenn überhaupt. Wo in Thailand jedes weibliche Wesen über 12 Jahre hübsch und adrett und sexy aussehen will, wo Werbung für Haarpflege und Kosmetik den größten Teil des nationalen Werbe-Aufkommens ausmachen, da scheint der Markt für Beauty-Produkte hier noch im Dornröschenschlaf zu stecken. Und trotzdem kommt es mir so vor, als wären die Frauen hier hübscher, weniger unförmig, eben kein “Fastfood formte diese Hüften”, und sicherlich sind Silikon und Botox hier weitgehend unbekannt.
Und die Männer? Die kennen so Begriffe wie „Mode“, „chic“ oder „gut angezogen“ erst gar nicht. Das schaut alles aus wie Bauern-Zivil, nämlich Freizeithemd oder T-Shirt und irgendeine Hose darunter. Niemand hat sein Hemd in der Hose, z. T. nicht mal die Uniformträger, von denen es hier viele gibt, denn auch der einfache Wachmann vom Hotel oder Restaurant trägt Uniform. Aber der krönende Abschluss sind die Badelatschen, die hier so gut wie alle tragen, besser bekannt als Flip-Flops, „für den nackten Fuß des Mannes von heute“…
Andererseits,- die meisten, nein, praktisch alle Touristen sind hier auch in puncto Bekleidung ein Armutszeugnis. Die Hälfte läuft mit T-Shirts rum, die dokumentieren sollen, wo man schon war, selbst wenn es höchst unpassend ist. Oder trägt es zum Ansehen bei, wenn man zeigt, in welchen Absturz-Kneipen man gerne verkehrt? Und der indische “alternative” Zottel-Look ist in Südostasien auch eher unangebracht. So ein Pärchen sehe ich und muß mich echt wundern. Sie hat eine Hose aus Flicken an, bei der der Schritt bis zu den Kniekehlen durchhängt. Und dazu hat die Hose hinten, auf halber Höhe zwischen Hintern und Knien, noch eine offene Tasche, ganz so, als sollte da etwas zwischengelagert werden, das man nicht gleich loswurde. Für diesen Aufzug gib es nur eine Bezeichnung: Endfertig!
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Was macht man in so einer Stadt wie hier und in dieser Situation? Ich kann natürlich nur für mich selbst sprechen. Für mich ist dies die Wartezeit, die es zu überbrücken gilt, bis die idiotische Wasserspritzerei in Thailand vorbei ist. Und außerdem muß ich in diesem Monat einen Visum-Trip machen und wenn ich schon für länger ausreise, dann soll es sich auch lohnen. Dazu treffe ich hier zwei Freunde, und zwei Bekannte sind wie ich aus Bangkok hergeflogen. Der eine Freund, ein Namensvetter, ist das genaue Gegenteil seines Aussehens, nämlich sympathisch bis zum Anschlag, obwohl er einen martialischen Schädel hat, was durch den Millimeter-Cut noch unterstrichen wird. Der könnte damit in jedem Film auftreten, in dem römische Soldaten vorkommen, ehrlich! Der andere ist mein Haus-Serbe, noch dazu ausgerechnet aus Belgrad, wo uns das Fernsehen seinerzeit doch eingeschärft hatte, das wären die Bösen. Aber vielleicht ist er aus der (bösen) Art geschlagen. Ich kenne ihn nur freundlich, mit offenem Gesicht, und einer riesigen Hakennase, na und? Er lebt schon ein paar Jahre hier und schlägt sich als Lehrer durch. Da er nicht anspruchsvoll ist, scheint es ihm zu langen. Er hat es mal in Bangkok an einer Universität versucht, aber da wollten ihn alle übers Ohr hauen, darum ist er inzwischen wieder hier.
Die anderen beiden sind Bekannte, und auf dem Level soll es auch bleiben, denn so sympathisch sind sie auch wieder nicht. Der eine der beiden ist eher der Typ harmlose Schlaftablette, der andere mehr der Typ Fachmann mit begrenztem Bezug zur Realität. So begrenzt, daß er sich gleich am 2. Tag hier auf der Ufer-Promenade sein neues iPhone klauen lässt. Aber er hat auch schon ein iPad in Bangkok im Taxi liegen lassen, insofern ist der Verlust eines Apples für ihn nichts furchtbar Neues.
Na ja, in der Fremde muß man Zugeständnisse machen, was den Umgang betrifft, denn die Auswahl an Landsleuten ist nicht so groß. Und man muß wissen, wie weit oder nahe man die jeweilige Person an einen heran lässt. Es gibt wenig Hässlicheres als das Verhältnis zweier Leute, die einmal eng befreundet waren, deren Freundschaft dann aber irgendwann in die Brüche ging. Oft aus lächerlichen Gründen, aber seitdem sieht man sich nicht mal mehr mit dem Hintern an,- so groß ist der Hass aufeinander. Aber warum nur? Enttäuscht über die eigene Fehleinschätzung? Aber was geschehen ist, ist vorbei, aus, nada, nicht mehr veränderbar, also schaut man doch lieber nach vorne und ist offen für neue Eindrücke… und neue Bekanntschaften. Die schaut man sich eine Weile an, hört ihnen zu und nimmt nicht gleich alles für bare Münze, was man sieht und hört. Letztlich schält sich dann doch die wahre Persönlichkeit heraus. Damit bin ich bisher immer gut gefahren. Und deshalb: Zwei Freunde und zwei Bekannte.
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Also zweiter Anlauf, was macht man in so einer Stadt? Sicherlich hat jede größere Stadt in den Tropen ihre Sehenswürdigkeiten, ihre Tempel, Museen und geschichtsträchtige Bauten. Aber hat man die einmal gesehen, hat man alle gesehen. Denn ein Tempel ist und bleibt ein Tempel und die Unterschiede sind relativ klein und nur für Gelehrte so wichtig, daß sie von einem Tempel zum anderen rennen müssen. Und die Museen? Das sind fast alles kulturhistorische Museen, und fast alle Exponate sind religiöse Statuen, in allen Arten und Abwandlungen. Darüber, wie sich das tagtägliche Leben vor 100 oder 300 Jahren abspielte, erfährt man so gut wie nichts. Dabei würde genau das mich interessieren, was glaubte und dachte man damals, worüber freute man sich und was fürchtete man? Wen juckt es da, ob und warum etwa die Locken einer Gottheit links- oder rechts-drehend gemeißelt wurden? Und Prachtbauten, Schlösser, und so? Erstens gibt es hier so gut wie keine, die öffentlich zugänglich sind und zweitens frage ich mich dann immer unwillkürlich, wie die Mehrheit der Leute lebte, damit die Fürsten etc. es sich leisten konnten, so zu leben.
Da laufe ich lieber ein paar Straßen lang, schaue den Leuten beim täglichen Leben zu und versuche, den spezifischen Flair der jeweiligen Stadt aufzusaugen. Was mir hier so gut gefällt sind die abgerundeten Hausecken und meistens haben die Häuser Balkone über die gesamte Breite der Hausfront. Das gibt den Häusern, wie alt sie auch sein mögen, eine gewisse Leichtigkeit und Offenheit,- im Gegensatz zu den ablehnenden, glatten, kantigen Hausfronten, wie wir sie in Deutschland kennen. Die Uferpromenade mit den Hotel-an-Hotel Fronten und keinem Hochhaus dazwischen erweckt ein Gefühl von Côte d’Azur… in Fernost. Trotzdem, die Stadt ist schmuddeliger als etwa Bangkok, überall liegt ein bisschen Abfall am Straßenrand, Erinnerung an eine nicht sehr effektive Müllbeseitigung und die meisten Leute hier lassen die Verpackung einfach fallen, wenn sie z. B. die Tüte mit dem Getränk leer getrunken haben. Müll wird in schwarzen Beuteln am Straßenrand abgelegt, in Erwartung, daß nachts auch wirklich die Müllabfuhr kommt. Aber ich habe in der ganzen Zeit hier nur eine einzige Ratte gesehen, und die lief tagsüber über eine öffentliche Rasenfläche.
Die Fassaden der meisten Häuser und die breiten Gehwege schauen so aus, als bräuchten sie mal wieder einen Anstrich bzw. Reparaturen, aber immerhin gibt es hier breite Gehwege. Und wenn auch nur als Parkplatz für die Edellimousinen. In Bangkok dagegen sind die Gehwege oft mit Verkaufsständen blockiert. Aber andererseits und generell hat sich hier in den letzten paar Jahren vieles verbessert, dazu zähle ich zwar nicht das erste halbe Dutzend Hochhäuser, aber die Tatsache, daß viele Straßen inzwischen geteert oder aus Beton statt aus Laterit sind, daß es nachts mehr Straßenbeleuchtung gibt, es gibt mehr Ampeln und auch der Dreck ist weniger geworden, kurzum, man sieht es geht aufwärts. Und das trotz einer total korrupten Regierung!
Abends sitzen die jungen und auch die nicht mehr ganz so jungen Leute in Restaurants, die kurzerhand auf den Gehweg ausgedehnt werden. Bei einigen ist nicht nur das Sitzen und Essen auf dem Gehweg, sondern auch gleich die Küche. Ich muß dabei an ein Sprichwort denken, das ich hier einfach mal ummünze: „Essen ist die Oper des kleinen Mannes“. Aber was soll’s, diese Restaurants sind voll, man sitzt nicht nur zum Essen da und geht dann, nein, man ratscht, trinkt und nimmt ab und zu einen Happen zu sich. Das ist das asiatische Pendant zum deutschen Biergarten.
Heiß ist es hier, normalerweise noch ein paar Grad heißer als in Bangkok, aber das mag täuschen. Wenn es mir zu heiß wird, verziehe ich mich auf ein Stündchen auf mein Zimmer und „genieße“ die Klimaanlage. Leider geht das nicht immer, deshalb fahre ich oft den Hinweg mit einem Motorrad-Taxi oder einem Tuk-Tuk und den Weg zurück laufe ich, denn dann ist es mir egal, wie verschwitzt ich im Hotel ankomme. Ich denke mir oft, daß die Photos und Postkarten aus den Tropen auch die Hitze vermitteln sollten, dann wäre unter den Europäern die Sehnsucht nach den Tropen gleich sehr viel geringer. Aber selbst in den Filmen laufen die Leute bei über 35 Grad ohne Schweißflecken herum. Wie machen die das? Das würde ich auch gerne lernen. Immerhin, an der Uferpromenade geht immer ein bisschen ein Wind, was natürlich angenehm ist.
Fast am besten sitzt man dann im „FCC“, dem Foreign Correspondents Club, im ersten Stock an der offenen Balustrade, und schlürft einen guten Kaffee, auch wenn der relativ teuer ist. Ab und zu kann man sich ja mal was leisten, oder? Und der Blick ist schön, den Fluß aufwärts die Promenade entlang, an der anscheinend die Flaggen aller Länder aufgezogen sind.
Früher waren hier abends die Kriegsberichterstatter zusammen gehockt und haben ihre Erlebnisse ausgetauscht, heute verirrt sich kaum noch ein Reporter hierher. Stattdessen eher die Mitarbeiter von ausländischen NGOs (Bürgerinitiativen), von denen es hier viel zu viele gibt. Das sind anscheinend die neuen Kolonialisten, denn die meisten führen sich so auf, bekommen ein Gehalt, das sie hier beim besten Willen nicht ausgeben können, fahren in abgedunkelten SUVs durch die Stadt und führen sich auf wie Graf Koks von der Gasanstalt. Dabei gehen sie auf die Jagd nach Pädophilen, was eigentlich nicht verkehrt ist, aber wo sie keine finden, da müssen sie eben welche erschaffen, mit Lug und Trug. Denn keine Erfolgsmeldungen nach Hause zu vermelden heißt Abreise, was keiner von ihnen will... Denn gegen ein Kaff im amerikanischen Bible-Belt ist das hier schon ein paar Klassen besser. Und daß man in einer fremden Hauptstadt gelebt und gearbeitet hat, das klingt später sicherlich besser als "in Niederbrunzhausen"...
Ein Stück weiter die Promenade rauf hat ein deutscher Journalist ein Edel-Café aufgemacht. Daneben verlegt er noch eine interessante und gut gemachte Zeitschrift über Südostasien. Das Café war, glaube ich, früher auch schon „in deutscher Hand“, hieß Riverside (wie originell!) und der Chef war ständig betrunken und fuchtelte dann gerne mit einer Knarre rum. Das war wohl nicht gerade ideal für sein Restaurant, da ist es mir jetzt schon geheurer. Aber Preise! Wie auf der Leopoldstraße in München! Der „Neue“ muss aufpassen, daß er sich nicht aus dem Geschäft hinaus preist, denn Haute Volee, internationale, gibt es hier nicht, und ob er von Normal- und Rucksack-Touristen seine Preise bezahlt bekommt ist auch fraglich.
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Auch wenn hier weniger passiert als in Bangkok, sind die Tage doch recht schnell rum. Morgens schläft man aus, was mit der Klimaanlage leicht ist, dann geht man etwas frühstücken, wo man auf andere „Leidensgenossen“ trifft und mit Kaffee und Ratschen ist gleich der restliche Vormittag vorbei. Am frühen Nachmittag ist es mit am heißesten, also wartet man mit Ausflügen Richtung Flussufer oder anderswo hin,- am besten in der Nähe der Klimaanlage, also im Zimmer. Selbst ein Einkauf kann zu einer zeitaufwendigen Aktion werden, also bitte nicht vor zwei oder drei Uhr nachmittags. Den einen Tag gehe ich los, um eine bestimmte Marke Zigaretten für einen Bekannten zu kaufen – ich rauche-noch-immer-nicht-wieder, yeah! – aber da, wo es die geben soll, ist nichts, also muß ich woanders suchen und komme dabei am Zentralmarkt vorbei.
Dabei fällt mir ein, daß ich eigentlich einen neuen Gürtel brauche, genauer: gerne hätte, denn der alte ist schon arg ausgeleiert. Bis ich einen Gürtel gefunden habe, habe ich auch noch ein T-Shirt gefunden, das Werbung macht für das Hard-Rock-Café hier am Ort, das es allerdings nicht gibt. Also war das Merchandising zuerst da, dann erst kommt das eigentliche Produkt,- irgendwann! Bis ich dann die blöden Zigaretten habe, sind gute zwei Stunden vergangen und ich fast im Schweiß ertrunken. Was macht man nicht alles für Freunde... oder weil man Zeit im Überfluss hat.
Einen anderen Tag fahre ich für einen Dollar auf einem Motorrad-Taxi zum russischen Markt. Der ist im Süden der Stadt, ziemlich versteckt und der richtige Name ist schier unaussprechlich. Also lasse ich mir den Namen an der Rezeption aufschreiben und halte den Zettel dann einem Taxler vor die Nase. Der nickt eifrig und ist auch mit dem einen Dollar zufrieden, den ich ihm anbiete für die Fahrt. Das Warum wird bald klar: Der Gutste hat selbst keinen blassen Schimmer, wo der Markt liegt! Wir beide, das ist wie der Stumme, der den Blinden führt, aber wir kommen hin, denn so ungefähr kann ich mich noch an den Weg erinnern.
Die Gegend dort ist eigentlich recht schäbig, der ganze Markt ist einfach eine Konstruktion unter einem Wellblech-Dach mit einer Seitenlänge von etwa 200 Metern. Drum herum stehen neuere, mehrstöckige Häuser, von deren 1. Stock man das Wellblech-Meer überblicken könnte,- aber wozu? Unter dem Wellblech ist es erstmal schweißtreibend heiß, aber die Einheimischen sind daran gewöhnt. Nur den Touristen, die die eine Hälfte des Marktes unsicher machen – die andere Hälfte ist ein normaler Lebensmittel-Frischmarkt – kämpfen mit der Hitze. Es gibt den typischen Touristen-Schnickschnack aus fake Amuletten und angeblicher Folklore-Bekleidung, aber auch nachgemachte “originale” Musik- und Computer-Hardware und vor allem raubkopierte Filme in Englisch. Ich glaube, die Preise liegen bei 2 bis 5 Dollar pro Film. Aber seitdem ich für 5 Euronen im Monat fast das gesamte deutsche Fernsehen zur Verfügung habe, lassen mich diese “Angebote” kalt.
Als ich meinen Einkauf fertig habe, schaue ich noch ein bisschen herum und entdecke auf der einen Seite des Marktes einen alten Mann, der Zuckerrohrsaft verkauft. Für einen Viertel-Dollar wirft er seine Presse an und lässt eine Stange Zuckerrohr ein paar Mal zwischen den Walzen durch, dazu noch eine halbe Orange, bis genug Saft für mich zusammengekommen ist. Das Ergebnis ist zwar süß, aber es schmeckt gut, löscht den Durst und ist sicherlich gesünder als die gleiche Menge Cola oder eine sonstige Brause… Ich gehe ein paar Häuser weiter Richtung Hauptstraße, denn die am Markt stehenden Tuk-Tuks und Motorradtaxis verlangen immer mehr als normal. Die wollen schließlich ihre Pause und das Ratschen auch bezahlt bekommen. Auf halbem Weg zur Hauptstraße finde ich ein Motorrad-Taxi und der Junge fährt mich auf abenteuerlichen Schleichwegen, über Baustellen und gegen Einbahnstraßen, zurück zum Hotel. Dabei ist er sich sicher, daß das der beste und schnellste und billigste Weg war, logisch! Aber egal, ich komme aus den verschwitzten Sachen raus und zu meiner verdienten Dusche.
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Und plötzlich heißt es: morgen Abflug! Das ist wie ein Wake-Up-Call, plötzlich überlegt man, was man noch alles machen wollte und wen man unbedingt nochmal sehen will, bevor man auf den Flugplatz fährt. Und wie kriege ich alles in der Tasche unter, denn ich habe hier schon wieder mehr eingekauft als ich aus Bangkok mitgebracht und hier verbraucht habe, also wird es eng in der Tasche werden. Mit der Rezeption rede ich auch nochmal, ob ich ein „late check-out“ machen kann, denn ich sehe nicht ganz ein, daß ich bei den Zimmerpreisen lieber 3 Stunden in der Hitze im Restaurant sitze, statt im kühlen Zimmer. Der Abmarsch zum Flughafen geht erst gegen drei Uhr nachmittags los. Abends bekomme ich dann auch das o.k. für das späte Check-out, und es kostet mich noch nicht einmal Geld. Ich wusste nicht, daß ich sooo beliebt bin...
Am nächsten Tag sitze ich beim Frühstück und verabschiede mich so Stück für Stück von den Leuten, die ich hier neu kennengelernt habe,- aber so viele sind es nun auch wieder nicht. Zum Beispiel: ein deutsches Großmaul, und die geweißten Zähne machen es noch schlimmer. Als Alternative dazu einen Somalier, Khalif, tiefschwarz, der hier arbeitet, aber dabei noch Zeit hat, hier im Restaurant zu sitzen und Zeitung zu lesen, Kaffee zu trinken und zu ratschen bis mittags. Mein Gladiator-Freund kommt auch noch vorbei, mit Freundin, was will man mehr? Und mit meinem Balkanesen treffe ich mich später beim open-air-Vietnamesen um die Ecke, jedes Essen einen Dollar. Zum Schluss bleibt mir gerade noch Zeit, die Tasche endgültig zu packen und nochmal zu duschen, das Schließfach habe ich auch schon ausgeräumt (da sind z.B. Geld, Paß und Ticket drinnen). Als ich runter ins Restaurant komme, ist mein Bekannter, mit dem ich hergeflogen bin, auch schon gestiefelt und gespornt da, deswegen suchen wir uns ein Tuk-Tuk für die gemütliche Fahrt zum Flughafen. Obwohl es früher Nachmittag ist, ist auf den Straßen reichlich Verkehr und wir brauchen lange, bis wir an sämtlichen Ampeln vorbei auf die Ausfallstraße kommen. Dort nimmt der Fahrer einen anderen Weg, aber auf meine Nachfrage murmelt er nur „Airport. Airport“. Na denn. Die Richtung stimmt zumindest, nur sind wir etwas nördlicher als auf der direkten Straße. Links und rechts am Straßenrand gibt es hier Clubs für die Reichen und Karaoke-Schuppen für die Malocher, aber beides dient dem „Vergnügen“, wenn auch die Preise ganz unterschiedlich sind. Die Straße muss recht neu sein, denn es ist nur wenig Verkehr und sie ist noch nicht ganz fertig gebaut, und so bleibt uns nichts anderes übrig, als links und rechts zu schauen, was hier als Vorort-Landschaft geboten wird.
Und natürlich haben wir am Flughafen mal wieder viel zu viel Zeit, weil die Prozeduren schneller als befürchtet erledigt sind. Der Kollege verbringt die meiste Zeit im Raucherzimmer und ich habe zur Sicherheit etwas zu lesen in der Jackentasche. Eineinhalb Wochen gehen zu Ende, die wider Erwarten doch ganz kurzweilig waren und es hat mich nicht gereut, die „Water wars of Thailand“ hier auszusitzen. Der Flug selbst, als auch der Transfer mit Bus, Hochbahn und Motorrad-Taxi vom alten Flugplatz in Bangkok zu meiner Wohnung sind so langweilig, daß ich gegen 8 Uhr abends froh bin, wieder in meinen eigenen vier Wänden zu sein.